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Die Revolution beginnt - Eine historische Skizze der Freiheitsbewegungen – Teil 2: Die antiabsolutistische Bewegung, Manchesterkapitalisten und eine nicht so erfolgreiche Revolution

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Eine historische Skizze der Freiheitsbewegungen – Teil 2: Die antiabsolutistische Bewegung, Manchesterkapitalisten und eine nicht so erfolgreiche Revolution

Das erste frei gewählte Parlament auf deutschem Boden, die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848/49

Das erste frei gewählte Parlament auf deutschem Boden, die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848/49 – Bild: Ludwig von Elliot

Man hat sich in Deutschland angewöhnt, alle antiabsolutistischen Kräfte der ersten Hälfte des 19. Jh. als liberal zu bezeichnen. Das entspricht nicht der historischen Realität. Liberal waren sie nur sehr bedingt, in einer spezifischen, eingeschränkt politischen Hinsicht. Einig waren sie sich nur in ihrer Gegnerschaft zum Absolutismus, nicht aber über die Ziele und Methoden des Kampfes. Als Model schwebte anfänglich vielen die Französische Revolution vor. Mit dem Terror der Jakobiner war es mit der Revolutionsschwärmerei bald wieder zu Ende. Einige sympathisierten mit Napoleon, der Deutschland die bürgerliche Freiheit bringe sollte. Die anderen erblickten in ihm den Tyrannen und entdeckten ihr Herz fürs darbende und darniederliegende und mittlerweile romantisch verklärte deutsche Vaterland. Dieses nun von Metternich und von über dreißig absolutistischen Tyrannen gewürgte deutsche Vaterland galt es zu befreien und zu einigen.

„Freiheit und Einheit: wollte man das liberale Programm des ‚Vormärz‘, der Zeit von der französischen Julirevolution von 1830 bis zu den deutschen Märzrevolutionen von 1848, auf eine knappe Formel bringen, so wäre es dieses Begriffspaar“. 1 Aber schon in den 30er Jahren sahen einige Liberale die freiheitlichen Ziele durch den Nationalismus bedroht. Heinrich August Winkler schreibt:

Rotteck, dem die badische Regierung wie allen Beamten die Reise nach Hambach untersagt hatte, sah die Freiheit durch das Drängen nach Einheit ernsthaft bedroht. Auf einem Fest badischer Liberaler in Badenweiler, wenige Wochen nach Hambach, stellte er seine Rangordnung der Ziele klar: ‚Ich will die Einheit nicht anders als mit Freiheit. Ich will keine Einheit unter den Flügeln des preußischen oder des österreichischen Adlers, ich will keine unter einer etwa noch zu stärkenden Machtvollkommenheit des so wie gegenwärtig organisierten Bundestages, und ich will auch keine unter der Form einer allgemeinen Republik, weil der Weg, zu einer solchen zu gelangen, schauerlich, und der Erfolg oder die Frucht der Erreichung höchst ungewisser Eigenschaft erscheint […] Ich will also keine in äußeren Formen scharf ausgeprägte Einheit Deutschlands. Ein Staatenbund ist, laut dem Zeugnis der Geschichte, zur Bewährung der Freiheit geeigneter als eine ungeteilte Masse eines großer Reiches.“ 2

Rotteck starb 1840. Die Fragen nach dem „wohin“ und nach dem „wie“ blieben.

Die Mehrheit bevorzugte natürlich radikale Methoden – auf der Theaterbühne. In der Praxis waren die meisten eher moderat und darauf aus, dem Absolutismus einige konstitutionelle Zugeständnisse abzuringen. Genauso untypisch für die antiabsolutistischen Kräfte war der badische Radikale wie der schwäbische Spießer.

Eine historische Skizze der Freiheitsbewegungen

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Die diversen antiabsolutistischen Ideen verschmolzen in der Praxis zu einem unentwirrbaren Knäuel, oft auch in ein und demselben Kopf. So konnte man sich für die politische Freiheit einsetzten und zugleich Protektionist sein; Demokrat zu sein bedeutete nicht unbedingt Liberaler zu sein, oft waren Demokraten auch Sozialisten; Freihändler konnten sich durchaus für den preußischen Staat erwärmen. Selbst bei Karl Marx und Friedrich Engels, den „Vätern“ des angeblich wissenschaftlichen Sozialismus, findet man sichtbare liberale Spuren. Und niemand hat jemals die Ziele des Liberalismus besser definiert als Karl Marx: den Kampf solange fortzuführen, solange der Mensch ein geknechtetes und verächtliches Wesen sei. Wo der, von den Sozialisten geführter Kampf endete, wissen wir.

Durchaus symptomatisch war auch die Tatsache, dass selbst in liberalen Kreisen die revolutionäre Schrift Wilhelm von Humboldts über Die Grenzen der Wirksamkeit des Staates und – wie bereits angemerkt – die Schriften britischer wie auch französischer Ökonomen unbekannt blieben. Marx und Engels kannten die Schriften des britischen Liberalismus – die deutschen Liberalen aber kannten nicht einmal das Buch des bis dahin bedeutendsten deutschen Liberalen. Von Anbeginn waren damit der antiabsolutistischen Bewegung aber auch dem deutschen Liberalismus die Stigmata der Rückständigkeit, Borniertheit und Verwirrung aufgedrückt.

Alle Verbündeten des wirklichen Liberalismus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sollten sich bald als seine hasstriefenden Feinde erweisen. Das ist bis heute so geblieben.

Die Manchesterkapitalisten

Während in Deutschland in Schillers Dramen die Freiheit triumphierte, Beethoven die Orchester revolutionär donnern ließ und Jahns Vereine für die eigene Gesundheit, und die des deutschen Vaterlands um die Wette turnten, schritten wiedermal die Engländer zur Tat.

Initiiert von zwei Unternehmern aus Manchester, Richard Cobden und John Brigth, entstand in England eine breite Massenbewegung gegen Kornzölle, die Anti-Corn Law League. Wohl einmalig in der Geschichte vereinte die Manchester-Bewegung verschiedene gesellschaftliche Kräfte um die getreideproduzierenden Lords und Bauern vor Billigkonkurrenz vom Kontinent schützenden Zölle zu Fall zu bringen. Unternehmer und Gewerkschaften, Intellektuelle und Philanthropen wirkten zusammen, um das Los der armen Bevölkerungsschichten zu lindern. Nicht in sozialstaatlichen, d.h. neomerkantilistischen Maßnahmen erblickten sie die Lösung. Im Gegenteil, es war ja gerade der staatliche Protektionismus, der gezielt den Freihandel und damit billige, auch für Arme erschwingliche, Lebensmittel verhinderte. Zu den Sympathisanten der Manchesterleute gehörte auch ein junger Deutscher aus Barmen, der die englische Filiale einer seinem Vater gehörenden Firma leitete – sein Name war Friedrich Engels.

Die Manchesterbewegung war keineswegs eine Ein-Punkt-Bewegung. Außer dem Protektionismus bekämpfte sie die Sklaverei, den Kolonialismus und Imperialismus. Im amerikanischen Bürgerkrieg unterstützte Cobden mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Union. Und das gegen die wirtschaftlichen Interessen Großbritanniens. Während die Union zum Protektionismus neigte, waren die Konföderierten, wegen ihrer Abhängigkeit von Baumwollexporten überzeugte Freihändler. Hier gaben jedoch nicht wirtschaftliche Interessen den Ausschlag, sondern die Abschaffung der Sklaverei durch Lincoln.

Noch vor der 1848er Revolution auf dem Kontinent gärte es in England. 1840 wurden die Kornzölle abgeschafft, die Folgen waren von welthistorischem Format. Der Manchesterkapitalismus bewirkte nicht nur, dass der Arme in England sich endlich ausreichend Brot kaufen konnten. Bald ging England zum weltweiten Freihandel über und die anderen Länder folgten. Der Sieg der Manchesterleute um Cobden und Bright leitete ein halbes Jahrhundert industriellen Wachstums ein, ein halbes Jahrhundert der Geldstabilität und Hebung des Lebensstandards, auch und vor allem bei den Industriearbeitern. Das haben die Konservativen und die Reaktionäre dem Liberalismus nie verziehen. Und die Sozialisten erst recht nicht. Auch das tragische Ende des Manchesterkapitalisten Cobden, der sein Vermögen für die Finanzierung der liberalen Reformbewegung verausgabte, seine Gesundheit ruinierte und in bitterer Armut starb, hindert Reaktionäre und Linke bis heute nicht den Manchesterkapitalismus zu verleumden.

Die Revolution

Zweimal schafften es die antiabsolutistischen Kräfte in Deutschland aus den Redaktionsstuben, den Theatern und Konzertsälen heraus. Zuerst 1830 im Anschluss an die revolutionären Aufstände in Belgien, Frankreich und dem russischen Teil Polens, dann 1848. Wiederum als Fortsetzung der Revolution in Frankreich.

Die antiabsolutistische Bewegung und die liberalen Kräfte in Deutschland waren anfänglich nicht Repräsentanten des Bürgertums, das im Vergleich zu Westeuropa nicht besonders stark entwickelt war. Der frühe Liberalismus setzte sich vor allem aus Honoratioren und Professoren, aus Literaten und Advokaten zusammen und repräsentierte vor allem sich selbst, d.h. die deutsche Intelligenz. Diesen aufgeklärten und liberalen Kreisen gelang es um die Jahrhundertwende eine öffentliche Meinung zu schaffen, in der ihre Ideen dominierten.

Sehr früh schon aber trat das bereits erwähnte irrationale, nationalistische und etatistische Gedankengut hinzu. Alle einte das Bestreben, Deutschland zu vereinigen. Wie das künftige Deutschland auszusehen hatte, war aber auch 1848 nicht klar. Bald fiel auch die andere Gemeinsamkeit auf: Die Liberalen, Demokraten und Revolutionäre hatten immer noch keine Ahnung von Ökonomie; die Fortschritte, die auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Ökonomie in der Aufklärung in Schottland, später in England aber auch in Frankreich gemacht wurden, waren in Deutschland immer noch nicht angekommen. Als John Prince-Smith, der erste Vorkämpfer des Freihandels in Deutschland, den in Frankfurt versammelten Parlamentariern und Liberalen seine Freihandelspläne erläutern wollte, stellte er fest, dass die meisten Liberalen Protektionisten waren.

In Baden und Berlin brach schließlich die Revolution aus, die Berliner bauten Barrikaden und trieben die Truppen Friedrich Wilhelms IV., eines romantischen Psychopathen, aus der Stadt. Seine königliche Majestät von Gottes Gnaden wurde zum Hampelmann der Revolution degradiert. Inzwischen zerbrachen sich die in Frankfurt versammelten Honoratioren und Professoren die Köpfe über die künftige Verfassung Deutschlands. Nach schier endlosen Debatten kamen sie auf die ebenso romantische wie spießige Idee, dem gerade in Berlin entmachteten Hohenzollern die deutsche Kaiserkrone anzubieten. Und das, nachdem dieser die Preußische Nationalversammlung kaltgestellt hatte. Anstatt Truppen auszuheben, um die Revolution und das Parlament zu schützen, wollten die Frankfurter Schwätzer die aus Berlin vertriebenen preußischen Truppen in den Kampf gegen Dänemark schicken. Diese kehrten jedoch rasch ihre Bajonette und Kanonen in die andere Richtung und marschierten auf Frankfurt. Friedrich Wilhelm schwor Rache am Frankfurter Parlament zu nehmen, das die Frechheit besaß, ihm einen „imaginäre(n) Reif, gebacken aus Dreck und Letten“ anzubieten. Das erste deutsche Parlament kapitulierte, die meisten gingen nach Hause, der Rest floh nach Stuttgart, wo die noch übrig gebliebenen Parlamentarier von württembergischen Soldaten auseinandergejagt und verhaftet wurden. 3

Bedingt war die Niederlage nicht nur durch die Stärke des preußischen Absolutismus, sondern auch durch die Unklarheit der Zielsetzung. Die antiabsolutistische Bewegung und die Liberalen waren sich hinsichtlich der Priorität in der doppelten Zielsetzung Freiheit und Einheit nicht einig. Die Mehrheit setzte auf die Vereinigung der Nation und die Schaffung eines deutschen Nationalstaates. Der war jedoch angesichts der Schwäche der Bewegung nur im Bunde mit dem einen oder dem anderen in Deutschland dominierenden absolutistischen Staat zu realisieren. Die einen waren für Österreich, die Mehrheit setzte auf das absolutistische Berlin. Eine radikale Minderheit von Liberalen, Demokraten und Sozialisten sah das gerade umgekehrt: Zuerst Freiheit und dann Einheit der Nation – diese kleine Gruppe hatte keine Chance. Zuerst die Nation mit Hilfe Preußens und dann irgendwann einmal die Freiheit, also Kampf gegen die alten Staaten und gleichzeitig Anbiederung an Preußen, das musste ebenso scheitern. Die bürgerliche Revolution in Deutschland ist an der Unfähigkeit gescheitert, klare freiheitliche Ziele zu setzten – in politischer und ökonomischer Hinsicht.

Gescheitert ist die bürgerliche Revolution in Deutschland ebenso an ihrer Zersplitterung und Uneinigkeit. Die zeitweilige „Symbiose“ von liberalen, demokratischen, nationalen und sozialistischen Kräften zerbrach bereits zu Beginn der Revolution. Da trat zutage, was schon früher der Fall war: Die nationale Komponente des revolutionären Anliegens gewann über die freiheitliche die Oberhand und die Illusionen bezüglich der Reformierbarkeit des Absolutismus wurden stärker. Die dagegen aufbegehrenden liberalen und demokratischen Radikalen, die die Gemäßigten des Verrats bezichtigten, traten vergeblich gegen sie zum Kampf an. Aber so wie sich die Gemäßigten immer mehr dem preußischen Absolutismus beugten, so gerieten auch die liberal-demokratischen Radikalen in der Endphase in eine dubiose Gesellschaft mit den Sozialisten. Was wiederum die Gemäßigten noch stärker mäßigte und noch weiter in die Arme der absolutistischen Reaktion trieb, bis hin zur völligen Unterwerfung unter das Preußen der Hohenzollern. Die einen verbündeten sich mit der Berliner Reaktion, die anderen mit der Reaktion von Links. Bezeichnend für die Deutsche Revolution war ebenso die Tatsache, dass es während der Revolutionsmonate zwei Revolutionsparlamente gab, die Nationalversammlung in Frankfurt und die radikalere Preußische Nationalversammlung in Berlin. Das Revolutionsspektakel wurde auf mehreren Bühnen aufgeführt. Von Wien abgesehen, waren es anfänglich Baden und Berlin, dann Frankfurt, dann Sachsen und die Pfalz, zwischendurch immer wieder Baden und zum Schluss abermals Baden. Die Revolutionszentren agierten meistens gegeneinander und selbst in Frankfurt kam es im Verfassungslager zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Aus dem auf das Frankfurter Debakel folgenden Kampfgetümmel in Sachsen, Baden und anderswo ging der Absolutismus als Sieger hervor.

Das Ende der Revolution fand im badischen Rastatt statt und war überaus heroisch. Das änderte aber an der Niederlage der Revolution, der Niederlage aller antiabsolutistischen Kräfte und insbesondere an der Niederlage des deutschen Liberalismus nichts. Viele Revolutionäre flohen ins Ausland; Friedrich Hecker ging schon 1848 nach Amerika, wurde Farmer und kämpfte im Amerikanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Union; ebenso Carl Schurz, der es in Amerika sogar bis zum General und Innenminister der USA brachte. 4

In Deutschland der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Bühnen nicht mehr von Schiller und Beethoven beherrscht. Unter höllischem Getöse lies Kapellmeister Wagner darauf seine Germanen aufmarschieren.

Bibliographische Nachbemerkung

Als beste Lektüre zur Ergänzung und Vertiefung des Themas empfehlen sich zwei hervorragende wie einzigartige Arbeiten:

Ralph Raico, Die Partei der Freiheit. Studien zur Geschichte des deutschen Liberalismus

Gerd Habermann, Der Wohlfahrtsstaat. Das Ende einer Illusion

Notes:

  1. Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Band 1. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München 2000, S. 80
  2. Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Band 1. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München 2000, S. 83. Siehe auch Wikipedia, Artikel über Karl von Rotteck.
  3. Die wohl beste Darstellung der damaligen Ereignisse bietet Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Band 1. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München 2000.
  4. Siehe die entsprechenden Artikel bei Wikipedia: „Forty-Eighters“, „Friedrich Hecker“ und „Carl Schurz“

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